“Kriegsverrat ist Friedenstat”: Plakataktion im Gedenken an Ludwig Baumann

Dieses Wochenende hängt die Aktionsgruppe Friedenstat Plakate in die Werbevitrinen der Berliner S-Bahnhöfe. Die Plakate gedenken dem Antimilitaristen und Antifaschisten Ludwig Baumann anlässlich seines hundertsten Geburtstags am 13. Dezember 2021. Baumann desertierte im zweiten Weltkrieg aus der Wehrmacht und lebte mehrere Jahre in Gefangenschaft der Nationalsozialist*innen. Nach dem Krieg setzte er sich erfolgreich für die Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz ein. “Dabei musste er in der deutschen Gesellschaft leider gegen allerlei Widerstände ankämpfen”, erklärt Katharina-Dorothea Vogelsang, Sprecher*in der Aktionsgruppe Friedenstat.

Antimilitaristische Plakate

“Kriegsverrat ist Friedenstat. Wir feiern Ludwig Baumanns 100. Geburtstag. Im Gedenken an ihn und an alle Deserteur*innen”. Plakate mit dieser Aufschrift hängen dieses Wochenende in den Werbevitrinen Berlins. Antimilitarist*innen der Aktionsgruppe Friedenstat hängten in ihnen insgesamt 60 Stück ohne Erlaubnis auf. Ludwig Baumann war Wehrmachtsdeserteur und hätte am 13. Dezember 2021 seinen hundertsten Geburtstag gefeiert.

Neugierige Passant*innen

Beim Aufhängen der Plakate bekamen die Aktivist*innen einige positive Rückmeldungen von Passant*innen. “Coole Aktion”, fand ein Mann mittleren Alters. Eine Gruppe von drei jungen Leuten lächelte den Plakatierer*innen anerkennend zu und machte ein Foto vom Plakat. Ein anderer fragte: “Seid ihr Rocco und seine Brüder?” Auch der Polizei fielen die Poster auf: Auf dem Heimweg bemerkten zwei Aktivist*innen einen Polizisten, der mit überfordertem Blick vor einem der Plakate stand und telefonierte.

Wer war Ludwig Baumann?

Ludwig Baumann desertierte gemeinsam mit seinem Freund Kurt Oldenburg am 3. Juni 1942 bei Bordeaux in Frankreich. Leider wurden beide am folgenden Tag von deutschen Grenzposten gestellt. Am 30. Juni wurde Baumann wegen “Fahnenflucht im Felde” zum Tode verurteilt. Erst Monate später erfuhr er, dass seine Todesstrafe in eine 12-jährige Zuchthausstrafe umgewandelt worden war. Nach Gefangenschaft im Konzentrationslager Esterwegen und im Wehrmachtsgefängnis Torgau, wurde er in das Bewährungsbataillon 500 versetzt und an die Ostfront gezwungen. Im Bewährungsbataillon 500 wurden militärgerichtlich Verurteilte dazu gezwungen, in besonders gefährlichen Einsätzen ihre militärische “Tapferkeit” zu Beweis zu stellen. Wer sich weigerte oder schlicht “versagte”, wurde als “unverbesserliches Element” zurück ins Konzentrationslager geschickt.

Von Deutschen verachtet

Aus der Kriegsgefangenschaft in Russland kehrte Ludwig Baumann nach Deutschland zurück. Dort mussten Deserteur*innen wie er allerhand Anfeindungen und Beschimpfungen durch die vom Kriegsverlust niedergeschlagene deutsche Nazibevölkerung erleben. Leute wie Baumman galten als “Volksschädlinge” oder “Verräter”. Sein Erbe vertrank er in kurzer Zeit. Als seine Frau bei der Geburt seines sechsten Kindes starb, hörte er mit dem Trinken auf und zog seine Kinder groß.

Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren hat lange gedauert

Im Jahr 1990 gündete Baumann gemeinsam mit etwa 40 anderen Wehrmachtsdeserteur*innen, Wissenschaftler*innen und Historiker*innen die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz. Das Ziel des Vereins war die Rehabilitierung aller Opfer der NS-Militärjustiz, also Menschen, die im Nationalsozialismus beispielsweise als Deserteur*innen, Wehrdienstverweiger*innen oder “Kriegsverräter” verurteilt wurden. “Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, war ein langer Kampf. Bis heute hält sich beispielsweise in der Bundeswehr zäh die Meinung, Deserteur*innen seien Feiglinge und Verräter”, so Katharina-Dorothea Vogelsang, Sprecher*in der Aktionsgruppe Friedenstat, die die Plakate aufhängte. Erst 1998 hob die Bundesregierung pauschal die Urteile der NS-Militärgerichte wegen “Wehrkraftzersetzung” und Kriegsdienstverweigerung auf. Deserteur*innen wurden hingegen erst 2002, gegen die Stimmen von Union und FDP, rehabilitiert.

“Kriegsverrat ist Friedenstat”

Die Urteile von sogenannten “Kriegsverrätern” blieben jedoch bis in die späten 2000er gültig. Der Begriff wurde von den Nazis in seiner Bedeutung so weit gefasst, dass sie mit ihm nahezu jedes unerwünschte Verhalten bestrafen konnten. Dennoch blieb eine Rehabilitierung der als “Kriegsverräter” Verurteilten für lange Zeit umstritten. Den Wahnsinn dessen brachte Ludwig Baumann im Mai 2007 auf den Punkt: “Was ist falsch am Verrat eines Vernichtungskrieges? Kriegsverrat ist eine Friedenstat!” 2009 beschloss die Bundesregierung, mehr als 64 Jahre nach Kriegsende, endlich die pauschale Rehabilitierung aller “Kriegsverräter”.

Keine Strafen für Deserteur*innen

“Dass dank Ludwig Baumann und der Bundesvereinigung die Opfer der NS-Militärjustiz rehabilitiert wurden, ist eigentlich nur das mindeste”, findet Katharina-Dorothea Vogelsang, “Fahnenflucht ist nach deutschem Recht immer noch strafbar. Auf der ganzen Welt müssen Leute mit einer Freiheitsstrafe oder sogar der Todesstrafe rechnen, wenn sie nicht auf Befehl töten wollen. Das müssen wir ändern. Wer sich gegen das Morden stellt, darf nicht bestraft werden.”

Ausstellung zu Ludwig Baumann in Potsdam

Wer mehr über Ludwig Baumann lernen möchte, kann das in Potsdam bei der Ausstellung “Kriegsverrat ist Friedenstat”. Dort kann man sich vom 13.12.2021 bis zum 27.01.2022 in der Friedrich-Engels-Str. 22 über sein Leben und Schaffen informieren. “Wir finden toll, dass auch andere Initiativen Ludwig zu seinem hundertsten Geburtstag gedenken”, sagt Katharina-Dorothea Vogelsang. In Hamburg findet am 12.12. eine Festveranstaltung in Gedenken an ihn statt.